Seit Februar besteht mit Kingdom Come Deliverance die Möglichkeit ins mittelalterliche Böhmen einzutauchen und Zeuge eines historischen Konflikts zu werden. Den Entwicklern der Warhorse Studios geht es dabei vor allem um den engen Bezug zur Realität. Eine gute Idee oder eher ein Todesurteil? Diese und weitere Fragen klären wir in unserer Review.
Der hohe Grad an Realismus in Videospielen ist seit geraumer Zeit ein interessantes Thema, weil es sicherlich einfach neuen Schwung in ein bestimmtes Genre bringt. Der Renntitel Project CARS 2 hat jedoch verdeutlicht, dass der Schwierigkeitsgrad durch diesen Ansatz spürbar ansteigt und die Spieler dies nur bedingt positiv aufnehmen. Umso größer waren die Bedenken, wie es Kingdom Come Deliverance nach dem Release ergehen wird. Scheinbar gut, denn in unserer Community war das Rollenspiel ein großes Thema. Gleichzeitig gibt es aber noch viele unentschlossene Spieler. Lohnt sich also der Kauf? Macht der Titel überhaupt Spaß?
Eine kleine Geschichtsstunde
Bevor wir uns die einzelnen Features genauer anschauen, sollten wir den Hintergrund der Story klären. Der römisch-deutsche Kaiser sowie König von Böhmen Karl der IV ist gestorben und sein Sohn sowie legitimer Nachfolger Wenzel ist zu naiv und maßlos, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Eine Schwäche, die Wenzels Halbbruder Sigismund der Rote Fuchs gnadenlos ausnutzt und versucht, die Macht an sich zu reißen. Und so brechen unruhige Zeiten in Böhmen an. Anstatt einen edlen Ritter zu spielen, lässt uns Kingdom Come Deliverance aber in die Rolle von Heinrich schlüpfen. Er ist Sohn eines Schmieds und lebt in einem ruhigen Dorf, bis dieses niedergebrannt wird und er einer der wenigen Überlebenden ist. Nachdem er alles verloren hat, schließt er sich Radzig Kobyla und seinem Widerstand an. Und so landen wir als Spieler in einem blutigen Bürgerkrieg und erleben hautnah mit, wie sich die Geschichte um Böhmen weiterentwickelt.
Aller Anfang ist schwer
Bevor wir uns nun ins Kampfgetümmel stürzen, Rache nehmen und den großen Helden spielen können, muss man zunächst das Kämpfen lernen. Normalerweise stellt man als Schmied nur Waffen her und nutzt sie nicht aktiv. Daher verwundert es kaum, dass der Sohn eines Schmieds auch kein begabter Kämpfer ist. Und so bleibt uns zu Beginn nichts anderes übrig, als zu trainieren. Wer es abseits der storybedingten Trainingseinlagen nicht für notwendig hält, seine Künste mit Schwert und Bogen zu verbessern, kann schnell Probleme bekommen. Selbst wenn man sich dafür entscheidet, einen friedlichen Weg zu nehmen, früher oder später wird man von Banditen überfallen. Und wenn man dann allein gegen beispielsweise drei Gegner kämpfen soll, zieht man sehr schnell den Kürzeren. Doch auch mit genügend Training kann eine derartige Anzahl an Widersachern für große Probleme sorgen. Kingdom Come Deliverance ist nun mal kein Skyrim, wo man eine Ein-Mann-Armee darstellt.
Es kommt immer wieder zu Situationen, in denen eine Flucht einfach die bessere Wahl ist. Für Videospiele ist das zwar eher ungewöhnlich, aber aufgrund dessen geht man völlig anders vor. Sich bei Nacht in ein Lager zu schleichen und die Gegner heimlich zu töten, kann oftmals extrem hilfreich sein. Nichtsdestotrotz ist der Erfolg einer solchen Unternehmung nicht garantiert. Wachen können euch entdecken oder ihr seid einfach viel zu laut. Aufgrund der realistischen Umsetzung muss man beispielsweise auch die Wahl der Kleidung in seine Überlegungen mit einbeziehen. Hierbei geht es nicht nur darum, ob man lieber schwer gepanzert oder eher schnell sein will. Obendrein muss auch die Lautstärke berücksichtigt werden, die beim Tragen und bei Bewegungen erzeugt wird. Insbesondere wenn man sich irgendwo hineinschleicht.
Kein Problem! Ich nutze einfach den Bogen!
Wer sich nun denkt, man nutzt einfach den Fernkampf und die Sache ist erledigt, hat sich getäuscht. Wie im echten Leben verfügt ein Bogen über kein Zielfernrohr, sodass man anfangs gefühlt blind schießt. Man kann nur erahnen, wohin der Pfeil fliegt. Obendrein muss die eigene Ausdauer berücksichtigt werden. Das gesamte System ist also komplexer als man es aus anderen Spielen kennt und verlangt somit auch deutlich mehr vom Spieler. „Übung macht den Meister“ ist eine Aussage, die in Kingdom Come Deliverance mehr Sinn ergibt als irgendwo anders. Der Spaß kann am Anfang eher überschaubar sein. Doch je besser man wird, desto größer wird das Spielerlebnis. Man ist regelrecht stolz auf sich selbst, wenn man einen Gegner zum Beispiel ins Bein trifft und dieser dadurch benachteiligt ist. Dies ist sogar eine gute Taktik für den Kampf.
Das Leben neu lernen
Mit dem Realismus kommen aber noch weitere Aspekte, die man berücksichtigen soll. Lebensmittel verfügen beispielsweise über einen Wert, der ihre Frische beschreibt. Ein kleines Beispiel aus der Testphase: In gewohnter Manier haben wir uns mit Lebensmittel eingedeckt, was in Kingdom Come Deliverance vor allem notwendig ist, um gegen den Hunger anzukämpfen. Als wir dann blind unser Inventar leer futterten, wurde uns der besagte Wert erst richtig bewusst. Im Endeffekt hatten wir eine Lebensmittelvergiftung, die sich natürlich negativ auf unseren Charakter auswirkt. Nach einem etwas länger ausfallenden Schlaf starteten wir in den nächsten Ingame-Tag und sprangen irgendwann einen kleinen Abhang hinunter. Die Folge waren zwei verletzte Füße, die zwar nicht bluteten, aber erneut negative Eigenschaften mit sich brachten.
Passend zum Thema: Kingdom Come Deliverance – Nützliche Tipps für Anfänger
Auf diese Weise müssen zahlreiche Handlungen im Spiel vielmehr durchdacht werden. War man auf der Jagd, muss das Fleisch schnell weiterverarbeitet und verkauft werden. Steht eine längere Reise an, müssen frische Lebensmittel gekauft bzw. besorgt werden. Kennt man seine Umgebung nicht, kann man sich schnell Verletzungen zuziehen und einen Nachteil im Kampf erhalten. Diese Features bringen tatsächlich neuen Schwung ins Genre der Rollenspiele und setzt aber auch mehr Zeit voraus. Man muss oftmals entspannt an irgendwelche Dinge herangehen und oft abwägen, was die bessere Wahl ist.
For Honor 2.0
Kommen wir nochmals zurück zum Kampfsystem, das man als eine umfangreichere Variante von dem aus For Honor beschreiben könnte. Es gibt mehrere Angriffszonen, die wir mittels Stick auswählen und dann entweder mit einem leichten oder einem schweren Schlag angreifen können. Das Parieren funktioniert nach dem selben Schema. Da die KI in der Regel etwas von ihrem Handwerk versteht, sind die Gefechte abwechslungsreich und herausfordernd gestaltet. Wir können selten einfach nur auf den Gegner einprügeln. Vielmehr ist es ein Mix aus Angriff, Verteidigung und auch Bewegung. Man bringt uns sehr früh bei, dass es von entscheidender Bedeutung ist, nicht wie angewurzelt an einer Stelle zu stehen. Zusammenfassend gefällt uns das Kampfsystem sehr gut, was insbesondere am höheren Schwierigkeitsgrad liegt. Wie bereits erwähnt, ist es ratsam, im Vorfeld zu üben und je nach Situation auch einfach zu fliehen.
Im Endeffekt lösen wir in Kingdom Come Deliverance aber eher Rätsel, anstatt in epische Schlachten zu ziehen. Was in Kinofilmen oder Videospielen imposant in Szene gesetzt ist, war damals schlichtweg keine Alltagssituation und daher auch nicht in diesem Rollenspiel. Nichtsdestotrotz wirkt die gesamte Angelegenheit keineswegs langweilig. Wir erleben eine spannende Geschichte und viele interessante Momente drumherum. Zudem bietet man uns eine große Vielfalt beim Erledigen der Quests. Wenn unsere Fähigkeiten noch nicht ausreichen, ist es sehr wahrscheinlich, dass uns NPC die nützlichen Informationen nicht verraten. Manchmal können wir dieses Problem durch eine schlichte Prügelei lösen oder wir lassen einfach etwas Geld springen. Meistens suchte man allerdings nach einer anderen Möglichkeit.
Oftmals spielt übrigens das Rufsystem eine wichtige Rolle. Helfen wir den Leuten und sind freundlich, merken sich die Bürger dieses Verhalten und erzählen es weiter. So können die NPC in künftigen Situationen deutlich aufgeschlossener sein, was sich durchaus positiv auf die Erfüllung unserer Ziele auswirkt.
Gute Idee, schlechte Umsetzung
Wie im echten Leben möchten die Entwickler erreichen, dass wir Entscheidungen nicht rückgängig machen können. Wer beim Stehlen erwischt wird, der wurde dabei erwischt und kann nicht einfach den Spielstand laden, den man vor der Tat angelegt hat. Kingdom Come Deliverance speichert lediglich an bestimmten Stellen automatisch und das manuelle Speichern ist nur mittels eines speziellen Getränks möglich. Dieses ist eher rar und obendrein bringt ein regelmäßiger Konsum eine Alkoholabhängigkeit hervor. An sich finden wir das Konzept äußerst interessant, die Praxis zeigt jedoch, dass man diese Herangehensweise nicht in Videospielen nutzen kann. Wenn man beispielsweise über die halbe Karte reiten muss, kurz vor dem Ziel stirbt und danach erneut über die halbe Karte reiten muss, kann das sehr nervig sein. Verdammt ärgerlich wird ist, wenn man eine halbe Stunde in das Sortieren seines Inventars gesteckt hat und am nächsten Tag merkt, dass der Fortschritt nicht gespeichert wurde.
Die Schattenseite von Böhmen
Obwohl der Day One Patch gigantisch ausgefallen ist, kämpft Kingdom Come Deliverance auch nach dem Release mit technischen Problemen. Insbesondere in den ersten Tagen hat man in den sozialen Netzwerken zahlreiche Bilder und Videos von völlig verbuggten Situationen gesehen. Hinzu kommen Abstürze, Einbrüche der Framrate und so weiter. Während unserer Testphase sind derartige Komplikationen tatsächlich gar nicht bzw. kaum aufgetreten. Die Performance war aber dennoch nicht optimal. Der Ton und die Animation innerhalb von Dialogen sind nicht synchron, der deutsche Untertitel stimmt oftmals nicht und die Lautstärke in Gesprächen ist stellenweise extrem leise. Das mindert nicht nur die Qualität der Präsentation, auch die Atmosphäre leidet darunter. Zudem müssen sich Spieler auf kleinere Ladezeiten einstellen, die stattfinden, bevor ein Dialog startet. Auch wenn diese nur wenige Sekunden betragen, stören sie dennoch den Spielfluss und können gelegentlich etwas nervig sein.
Des Weiteren ist auffällig, dass die Anzahl an Animationen von Heinrich und den NPC innerhalb der Dialoge sehr gering ist. Vor allem in längeren Gesprächen häufen sich bestimmte Gestiken. An sich ist das kein großes Problem, es fällt allerdings deutlich auf. Abgesehen davon kann das Rollenspiel aber eine imposante Inszenierung vorweisen. Der Sound ist stimmig, Zwischensequenzen sind schön in Szene gesetzt und die deutsche Synchronisation gefällt uns richtig gut. Hinzu gesellt sich eine Umgebung, die für uns sehr realistisch wirkt.
Fazit
Es gibt definitiv noch viele weitere Features, auf die wie an dieser Stelle eingehen könnten. Dennoch hoffen wir, euch einen umfangreichen Einblick in Kingdom Come Deliverance gegeben zu haben. Zusammenfassen können wir sagen, der Titel bringt zweifellos frischen Wind ins Genre, was hauptsächlich daran liegt, dass das gewohnte Gameplay um zahlreiche neue Features erweitert wird. Speziell der vergleichsweise hohe Schwierigkeitsgrad in den Kämpfen hat es uns sehr angetan. Wir müssen vielmehr durchdenken, bevor wir beginnen zu handeln. Positiv ist zudem die Tatsache, dass uns das Spiel in vielerlei Hinsicht freie Hand gibt, sodass eine gelungene Charakterentwicklung möglich ist. Das Speichersystem und die technischen Probleme senken jedoch die finale Bewertung.
Alles in allem ist die atmosphärische Reise nach Böhmen definitiv zu empfehlen. Die Entwickler haben eine gut aussehende und realistische Spielwelt erschaffen, in der man viele Stunden verbringen kann. Eventuell sollte man sich aber noch einige Wochen gedulden und die nächsten Updates abwarten. Außerdem ist Kingdom Come Deliverance nur etwas für Spieler, die nicht zwangsläufig den großen Helden in Form einer unbesiegbaren Ein-Mann-Armee spielen müssen.
Mir macht es richtig Spaß, nur die Grafikbugs und Ladezeiten nerven dezent! Ansonsten ein Top Game
Bin gespannt wann endlich der Patch kommt
Der Titel bringt zweifellos frischen Wind ins Genre :)